Zwischen kleinerem Übel und Chaos?

Großbritannien vor dem EU-Referendum

Lupo/pixelio
Lupo/pixelio

von Michael Freckmann

 

 

Am Donnerstag, den 23.06, schließen die Polling Stations um 22 Uhr Ortszeit. Dann wird klar sein, ob Großbritannien aus der Europäischen Union austreten wird oder weiterhin deren Mitglied bleibt. Gegenwärtig liegen beide Lager in den Umfragen in etwa gleichauf; eine Spaltung scheint durch das Land zu gehen, zwischen Jung und Alt, zwischen den Parteien, ihrem Establishment und ihren Anhängern.

 

Das Referendum ist das zentrale politische Ereignis dieses Jahres und beschäftigt so auch die Briten, die im Ausland leben. Lauren Mason, die in Cambridge ihren Bachelor machte und nun in Göttingen „Euroculture“ im Master studiert, meint: „Die Beziehungen zu den USA und dem aus dem British Empire entstandenen Commonwealth sind uns wichtiger gewesen als diejenigen zu Europa; für uns war die EU immer mehr ein deutschfranzösisches Projekt.“

 

Erst 1973 trat das Vereinigte Königreich vornehmlich aus wirtschaftlichen Motiven in die damalige Europäische Gemeinschaft ein. 1984 knallte Premierministerin Thatcher ihre Handtasche in Brüssel im Europäischen Rat auf den Tisch und rief: „I want my money back“ - sie konnte die so genannten „Britenrabatte“ aushandeln. Sechs Jahre später wehrte sie sich im britischen Parlament mit folgenden Worten gegen die Pläne der EUKommission für mehr politische Integration und die gemeinsame Währung: „I do not want the comission to increase its powers against this house. No, No, No!“.

 

Der Schatten der „Iron Lady“ reicht bis in die Gegenwart. So fordert zwar die rechtspopulistische „United Kingdom Independence Party“ (UKIP) seit Jahren ein solches Referendum, große Zustimmung für einen Austritt gibt es aber maßgeblich auch bei den konservativen Tories, der ehemaligen Thatcher-Partei. 2013 versprach Premierminister Cameron auf Druck aus seiner Partei, nach der Parlamentswahl 2015 ein Referendum abzuhalten. Besonders nachdem in diesem Frühjahr der ehemalige Bürgermeister von London, Boris Johnson, beliebtester Politiker im Land, neben einzelnen Kabinettsmitgliedern der aktuellen Regierung sich für einen Austritt ausgesprochen hat und nun den Brexit-Kampagnen beigetreten ist, zeigt sich der Riss innerhalb der Konservativen.

 

Für einen Verbleib sind die gegenwärtig im Unterhaus nur schwach vertretenen Liberaldemokraten, die nahezu unbedeutende Green Party, sowie die schottischen Nationalisten. Die Labour Party als Oppositionsführerin ist mehrheitlich für einen Verbleib - zumindest bei ihren Abgeordneten ist dies der Fall, die Basis ist hierbei etwas skeptischer. Auffällig ist ebenfalls, dass während die jungen Wahlberechtigten eher für einen Verbleib sind, die Älteren genau gegenteilig eingestellt sind. Die Jungwähler gehen allerdings generell weniger häufig zur Wahl, weshalb sich das Ergebnis wohl auch über die Wahlbeteiligung entscheidet.

 

Das „Remain“-Lager, welches, unterstützt von großen Teilen der Wirtschafts- und Finanzwelt, ökonomischen Schaden abwenden will, ist der Ansicht, dass Großbritannien nur innerhalb der EU auf der Weltbühne eine Rolle spielt. Der von Cameron mit der EU ausgehandelte Deal, der auch Restriktionen bei Sozialleistungen für Zuwanderer beinhaltet, soll die Gegner überzeugen. Diese hingegen sorgen sich um die ihrer Meinung nach zu hohe Einwanderung, die daraus folgende Belastung der Sozialsysteme, ein Demokratiedefizit in Brüssel sowie, damit verbunden, einen Souveränitätsverlust von London und werben mit dem Motto: „Let’s take back control“.

 

Lauren Mason wünscht sich einen Verbleib in der EU – weil die Vordie Nachteile für Großbritannien überwiegen würden und auch dann Reformen der EU, etwa hinsichtlich eines „Demokratiedefizits“, gemeinsam angegangen werden könnten. Bei einem Austritt würden hingegen „zwei Jahre juristisches und politisches Chaos“ mit offenem Ausgang drohen. Aber auch bei einem Verbleib bliebe die Lage schwierig, denn bei weiteren politischen Integrationsbestrebungen von anderen EU-Staaten würde seitens Großbritanniens weiterhin mit Widerstand zu rechnen sein.

 

Veranstaltungshinweis:

SEP Brexit Night
Englischsprachige Vorträge und Diskussionen zum möglichen EU-Austritt Großbritanniens.
Donnerstag, 23.06., ab 19.30 Uhr im
Seminar für Englische Philologie,
Käthe-Hamburger-Weg 3.