Vereint gegen das Patriarchat

 

von Alexander Altevoigt

 

Am 7. März, am Vorabend des Internationalen Frauentages, lud das Literarische Zentrum zu einem Abend über Feminismus. Das Publikum in den Räumen des Jungen Theaters war, wenn auch altersmäßig bunt durchmischt, tendenziell akademisch. So stellte eine Besucherin wenig überrascht fest, dass fast die gesamte Göttinger Geschlechterforschung anwesend sei. Zu Gast auf der Bühne waren vier vom Literarischen Zentrum als feminist four angekündigten Feministinnen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten. Sonja Eismann, Mitgründerin und -herausgeberin des Missy Magazine, die queer-feministische Rapperin Sookee, Mithu M. Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Journalistin, und die britische Aktivistin und Autorin Laurie Penny zeigten im Austausch miteinander die Komplexität des Themas auf. Dem Publikum boten sich auf diese Weise vier unterschiedliche Herangehensweisen an das Feministinnendasein. Jeweils 20 Minuten lang führten die Teilnehmerinnen – an einem leider viel zu hohen Tisch – interviewartige Gespräche miteinander. Auch wenn durch den rigorosen Gongschlag nach 20 Minuten die Gespräche stellenweise unabgeschlossen wirkten, förderte das Konzept eine Ausgewogenheit, die in von Alphatieren dominierten offenen Gesprächsrunden oftmals fehlt.

 

Zunächst sprach Sookee mit Sonja Eismann, die keinen Hehl aus ihrer akademisch-theoretischen Perspektive auf den Feminismus machte und das Publikum schon gleich zu Beginn mit komplexen Überlegungen zu choice feminism (jede Entscheidung, die frau selbstbestimmt trifft, ist eine feministische) und Femonationalismus (Übernahme feministischer Argumentation aus rassistischen Motiven, beispielsweise beim Generalverdacht der Vergewaltigung gegen eingewanderte Männer) konfrontierte. Zugänglicher waren jedoch ihre Statements zur Notwendigkeit eines inklusiven Feminismus, der keine sozialen Gruppen außen vor lassen oder gar schlechter stellen dürfe. Im Lichte des späteren Statements von Laurie Penny, Feminismus sei von Natur aus links und damit antikapitalistisch, kam die Reaktion von Sonja Eismann auf Sookees Frage nach ihrer Haltung zu kommerziellen I-love-Feminism-Shirts überraschend konformistisch daher. Frei nach dem Motto: „Wenn’s dem Feminismus dient.“

 

Nach einer an dem Abend deplatziert wirkenden Rap-Einlage mit ausbaufähigem Sound, beantwortete Sookee Fragen von Mithu M. Sanyal, die sich für deren eigene Erfahrungen im Kulturbetrieb interessierte. Im Gespräch mit Sanyal wies sie darauf hin, dass sexistische Ausgrenzungspraktiken viel zahlreicher vorkämen als die, aufgrund stärkerer Medienpräsenz, häufiger wahrgenommenen verbalen und körperlichen Übergriffe. Als Rapperin sei Sookee seit jeher gezwungenermaßen in der feministischen Feldforschung unterwegs und bot dem Publikum so eine spannende Innenperspektive. Mit Blick auf die Geschlechterverteilung bei Hip-Hop-Labels beklagte sie, dass nur vereinzelt vorkommende Rapperinnen zumeist auf ihr Frausein reduziert würden, wohingegen Männer ausdifferenzierte Rollen besetzen dürften. Daraus folgerte Sookee, wenn auch zähneknirschend, die Notwendigkeit von Quotenregelungen, denn nur so kämen Männer in die Situation, zwischen mehreren Frauen und ihren Charakteren unterscheiden zu müssen.

 

Im Anschluss durfte sich Mithu M. Sanyal den Fragen von Sonja Eismann stellen und, leider nur am Rande, ihr neues Buch über Vergewaltigungen vorstellen. Sie merkte an, dass das deutsche Strafrecht erst seit 1997 eine geschlechtsneutrale Definition von Vergewaltigungen kenne und die höchste Zahl an Vergewaltigungen in Kriegsgebieten festzustellen sei. Sie plädierte dafür, im weiteren Kontext zu denken und beispielsweise Entmilitarisierung als effektive Vergewaltigungsprävention zu verstehen. Auch wenn die von Sanyal vorgestellten Fakten nicht überraschten, schaffte sie es, den Themenkreis des Abends zu erweitern und Geschlechterfragen mit anderen Feldern, wie dem Pazifismus, zu verbinden. Abschließend las sie noch an sie gerichtete Hassmails vor, die jedoch nicht, wie bei den Hate Poetry-Shows, humoristisch kommentiert wurden, sondern dem Publikum auf beklemmende Art und Weise die Dimensionen des in Deutschland existierenden Rassismus und Sexismus vor Augen führte.

 

Laurie Penny, ein Shootingstar des modernen radikalen Feminismus, konnte mit ihren Erfahrungen vom Women’s March in Washington im Anschluss zum Ausdruck bringen, was die anderen drei auch schon mehr oder weniger explizit anklingen ließen: Es sei notwendig, sich in einem feministischen Grundanliegen zu vereinen und die, oftmals von außen angefeuerten, Konkurrenzspiele um den ‚besten‘ Feminismus sein zu lassen. Untereinander ausgelebte Solidarität, beispielsweise zwischen Cis- und Trans-Frauen, also solchen, die biologisch weiblich geboren werden und solchen, die biologisch männlich zu Welt kommen, sei notwendig, um keine Hierarchien innerhalb des Weiblichen zu schaffen. Penny verdeutlichte aber auch, dass es Grenzen gebe: Mit den sogenannten pro-life feminists, die gegen das Recht auf Abtreibung kämpfen, könne und werde sie nicht zusammenarbeiten.

 

Manch eine*r im Publikum war vielleicht enttäuscht, dass Reizthemen, wie die als antisemitisch eingestuften Äußerungen durch Laurie Penny in der BDS-Kampagne oder die Aufregung um vermeintliche Transphobie in einem der Songs von Sookee, ausgespart wurden. Jedoch bekräftigte der Verzicht auf diese Aspekte den Wunsch der Feministinnen, nicht gegeneinander ausgespielt zu werden. Die Veranstaltung war nicht der Ort für bewegungsinterne Auseinandersetzungen um die feministische Deutungshoheit, sondern eine gut genutzte Gelegenheit für gegenseitige Bekräftigung in einem Thema, das an Aktualität seit jeher nichts eingebüßt hat. Angesichts des konkreten Aufwärtstrends, den das Patriarchat in letzter Zeit erfährt, dürfen sich Feminist*innen in ihrer Arbeit bekräftigt fühlen. Der Abend im Jungen Theater hat dazu beigetragen, den Facettenreichtum des Feminismus  zu erkennen. Es bleibt trotz allem die Frage, ob die verschiedenen Strömungen tatsächlich eine effektive Einheit bilden können oder ob nicht doch weiterhin an mehreren Fronten gleichzeitig gekämpft werden wird.