Studieren auf der anderen Seite des Rheins

 

von Verena Pauer

 

Quietschend windet sich die Métro durch den dunklen Tunnel. Stickige Luft steht im Wagon. Der Zug hält an der nächsten Haltestelle, die Türen gehen auf, Pissegeruch wabert herein. Und ich könnte jetzt schön entspannt in Göttingen mit meinem Fahrrad zur Uni fahren. Stattdessen stehe ich in dieser Blechbüchse einige Meter unter den Straßen von Paris, die Louis-Vuitton-Tasche meiner Vorderfrau in den Bauch gerammt. Aber ich musste ja unbedingt ein Erasmus-Semester machen.

 

Wie ich auf Paris gekommen bin, ist mir bis heute ein Rätsel. Ich, das Dorfkind, mit Französischerfahrungen, die ich vor mehreren Jahre erstanden habe. Dementsprechend unbeholfen verliefen auch meine ersten Tage hier. Eine Wohnung zu finden stellte sich als ziemlich unmöglich heraus. Und das nicht nur aufgrund meiner begrenzten Sprachkenntnisse. Auch die Preise und Zimmergrößen trieben mich an den Rand der Verzweiflung. Zum Glück kennt man ja immer jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt. Und somit kam ich schließlich auch an mein Zimmer, Koch- und Sprachkurse inklusive.

 

 

Aus den Lautsprechern der Métro murrt die Stimme des Fahrers. Anscheinend ist in den überfüllten Wägen mal wieder jemand ohnmächtig geworden. Deswegen müssen wir hier kurz warten. Komme ich halt zu spät zur Uni.
Wie in der ersten Woche, als ich mich noch nicht darauf eingerichtet hatte, dass das akademische Viertel an der Sorbonne, meiner Gastuni, nicht existiert. Mit einer chronischen Verspätung von zehn Minuten unterbrach ich Entschuldigungen murmelnd die Ausführungen der Dozenten. Überhaupt brauchte ich einige Zeit, um mich in die viel verschulteren Seminare einzufinden, Frontalunterricht inklusive. Dementsprechend war das stärkste Gefühl zu Beginn das des hilflosen Erstis. Wo kann ich drucken? Wie funktioniert die Bibliothek? Wie komme ich an Essen in der Mensa? Dabei ist es nicht besonders hilfreich, dass die Sorbonne sich auf verschiedene Gebäude in der gesamten Stadt verteilt. Einige von ihnen sind noch dazu so alt, dass sie von der Übersichtlichkeit dem Treppensystem von Hogwarts gleichen.

 

 

Die Bahn fährt ruckartig um eine Kurve. Alle Passagiere im Wagon kommen aus dem Gleichgewicht. Mich schleudert es gegen die Frau, die neben mir steht. Auch sie ist mit einer Designerhandtasche bewaffnet. Doch statt Louis Vuitton trägt sie Gucci.

Mode spielt in Paris nicht nur zur Fashion Week eine sehr große Rolle. Selbst meine Kommiliton*innen sehen aus wie aus dem Katalog entsprungen. Ungeschminkte und Schlabberlook tragende Student*Innen trifft man nur sehr selten an. Aber sie passen perfekt in die Kulisse der Stadt. Abseits der touristenüberfluteten Sehenswürdigkeiten ziehen sich kleine wie große Straßen durch die Stadt, gesäumt von bunten Läden und kleinen Cafés und Bars, in denen das Bier zwar nicht schmeckt, der Wein dafür um so besser. Dass es sich bei den Bars nicht um Studentenkneipen handelt, ist schon den Preisen anzumerken. Leben in Paris ist nun mal teuer. Aber da es beim Feiern ja nicht unbedingt um die Lokation geht, trifft man sich doch lieber mal mit ein paar Kommiliton*innen am Seineufer. Dort kann man dann bei einer Flasche Wein und einer Tüte Chips den vorbeifahrenden Ausflugsbooten hinterhergucken. Oder mit einem Baguette, je nach Belieben. Das Leben in Paris kann ganz entspannt sein, wenn man sich nur an den richtigen Orten aufhält.
Die Métro ist es eindeutig nicht. Doch sie fährt endlich an meiner Haltestelle ein. Einmal an die Oberfläche zurückgekehrt, atme ich entspannt ein. Wieder das Schlimmste überstanden. Jetzt nur nicht zu tief einatmen – die Abgase.